Gentille* aus dem Ostkongo

Gentille war noch jung, als sie von Rebellen verschleppt und missbraucht wurde. Auf der Flucht entdeckte sie, schwanger zu sein. Heute kämpft sie für eine sorglose Zukunft - für sich und ihren Sohn.

Ein neues Leben für Gentille

 

Wenn Wind aufkommt, stellt sich Gentille* gerne unter die Jacaranda, die im Garten wächst und lässt die Blüten auf sich regnen, bis sie in ihrem Haar liegen wie ein Schleier. Wie dieser Brautschleier, den die Frau auf dem Werbeplakat trägt, an dem Gentille oft vorbei kommt. Im Weitergehen grübelt sie über den Slogan der werbenden Versicherung: Für eine sorglose Zukunft.

Eine ungewisse Zukunft

Die 17-jährige Gentille kennt niemanden, dessen Zukunft sorglos ist. Nicht dort, wo Gentille wohnt, im Maison Marguerite, einer Einrichtung in der ostkongolesischen Stadt Goma, ein Heim auf Zeit für junge, traumatisierte, missbrauchte, verstoßene Mädchen. Und auch nicht dort, wo Gentille aufwuchs, in Beni, einer Kleinstadt im Osten des Kongos. Eine Stadt, die es zu einer traurigen Berühmtheit brachte, weil sie Fadenkreuz konkurrierender Rebellengruppen ist.

Von Rebellen verschleppt

Als Gentille 14 Jahre alt war, gingen ihre Eltern fort. Beide waren Soldaten. Die Kinder blieben bei Verwandten. An einem Tag im Juni, Gentille war gerade 15 Jahre alt, kamen Rebellen einer ugandischen Miliz in das Viertel. Sie richteten ein Massaker an, sagt Gentille. Was bedeutet das, ein Massaker? Gentille schweigt einige Minuten. Dann sagt sie: „Fast alle Nachbarn waren tot. Die Überlebenden, junge Mädchen und Männer, wurden von den Rebellen mitgenommen.“ Auch sie, Gentille.

Das Maison Marguerite in Goma

  • Drei kleine Kinder spielen im Hof des Maison Marguerite

Gentille gelang die Flucht

„Sie haben mich mitgenommen.“ Viele Mädchen, die im Kongo ähnliches erlebten, wie Gentille, drücken ihre Entführung durch Milizen so aus. Sie sagen auch: „Ich musste die Frau einer dieser Männer sein.“ Es ist ein Satz, der ihnen die Würde lässt, aber wenig erzählt über die Schrecken dieses „Frauseins“. Gentille wurde zwei Monate lang vergewaltigt. Dann gelang ihr mit 10 anderen Mädchen die Flucht. 

Sie entdeckte, dass sie schwanger war

In einem Camp der Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen fand Gentille Unterschlupf. Dort entdeckte sie, schwanger zu sein. „Ich wollte mich umbringen“, sagt die junge Mutter schlicht. Tausende, vielleicht Zehntausende solcher jungen Mädchen wie Gentille gibt es im Osten des Kongos. Viele noch Kinder, die manchmal Monate, manchmal Jahre in den Quartieren der Rebellen kochten und Holz sammelten, Lasten trugen und Wasser holten.

Auf eigenen Beinen stehen

Ein UN-Soldat brachte Gentille ins Maison Marguerite. Sie hat dort ihren Sohn geboren und ihm den Namen Moses gegeben. Im Maison Marguerite erfahren die Mädchen zum ersten Mal wieder Sicherheit, Fürsorge und die tröstliche Gemeinschaft der anderen. Sie erhalten Schulunterricht und können eine Ausbildung zur Köchin, zur Friseurin oder zur Schneiderin machen. Gentille ist nun seit elf Monaten im Maison Marguerite. Noch vier Wochen, dann steht sie auf eigenen Beinen.

*Name von Redaktion geändert; Text: Andrea Jeska, Fotos: Fabian Weiss


Dieser Artikel wurde recherchiert mit einem Stipendium der Gates Stiftung und des European Journalism Centres.
 


 

Noch Fragen?

Die meisten Straßenkinder kommen aus zerrütteten Familien. Sie fliehen vor Armut und Gewalt und leben deswegen auf der Straße. Viele Kinder laufen aber auch Gefahr, auf der Straße zu landen. Deswegen sind Straßenkinder für uns auch Kinder und Jugendliche, die öfter auf der Straße Zuflucht suchen oder auf der Straße arbeiten müssen, um zum Lebensunterhalt ihrer Familien einen Beitrag zu leisten. Auch Kinder, denen es an den wichtigsten Dingen wie Liebe, Geborgenheit, Essen und Schulbildung mangelt, laufen Gefahr, ganz auf der Straße zu landen. Dazu gehören zum Beispiel Schulschwänzer, missbrauchte Kinder oder Kindersklaven.

Weil Vorbeugen besser als Heilen ist, tun wir alles, was verhindert, dass junge Menschen auf der Straße landen. Unsere Aktivitäten sollen soziale Ungleichheiten überwinden und jungen Menschen neue Möglichkeiten eröffnen. Wir tun dies, indem wir benachteiligte Kinder und Jugendliche in Risikosituationen begleiten und ihnen Zugang zu Bildung und Ausbildung bieten. Dabei möchten wir jungen Menschen nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Werte.

Auf der ganzen Welt betreiben wir sogenannte Straßenkinder-Zentren, also Einrichtungen, in denen Straßenkinder Hilfe bekommen können. Der Besuch oder der Verbleib in den Straßenkinder-Zentren ist immer freiwillig. Für manche Kinder wird das Zentrum ein neues Zuhause, manche kommen nur ab und an zum Spielen vorbei oder um sich ein paar Stunden auszuruhen oder etwas zu essen.

Die Erstversorgung bspw. mit Kleidung und Essen ist notwendig, denn niederschwellige Angebote ermöglichen es uns, Kontakt zu Straßenkindern aufzubauen. Darüber hinaus ist uns langfristige, nachhaltige Hilfe ein besonderes Anliegen. Durch unsere Straßenkinder-Einrichtungen gelingt es,

  • Kontakt zu Straßenkindern aufzunehmen und sie erstzuversorgen,
  • Straßenkindern ein Zuhause zu bieten mit Menschen, die sich um sie kümmern,
  • Kindern und Jugendlichen durch Bildung und Qualifikation neues Selbstvertrauen zu schenken,
  • Kinder und Jugendliche zu befähigen, ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und positiv in die Zukunft zu blicken.

Damit Straßenkinder von unseren Hilfsangeboten erfahren, suchen Streetworker die Straßenkinder direkt in ihrem Lebensumfeld auf, also auf der Straße. Sie sprechen sie an und versuchen, Kontakt aufzunehmen. So kann langsam und behutsam Vertrauen aufgebaut werden. Wenn das gelingt, bieten sie den Kindern Freizeit-, Lern- oder Gesundheitsangebote an. 

Für ein Leben jenseits der Straße